In Zeiten, in denen sich die gesellschaftlichen Gräben weiter vertiefen und ein striktes Entweder-oder das Denken beherrscht, ist Hegels Philosophie des Sowohl-als-auch so aktuell wie nie zuvor.

„Alle Dinge“, schreibt Georg Wilhelm Friedrich Hegel, „sind an sich selbst widersprechend.“ Bis heute gilt dieser Satz unter Philosophen als Zumutung, wenn nicht als Skandal. Doch nicht die Verherrlichung des logischen Widerspruchs ist Hegels Ziel, sondern vielmehr dessen Überwindung in einem dynamischen Prozess.


Spaltung, Radikalität, Unverständnis unserem Gegenüber, das eine andere Meinung vertritt als wir selbst. So geht unsere Gesellschaft in das Jahr 2022. Wutbürger werden zu Querdenkern, Querdenker zu Extremisten und alle spazieren Sie heute durch die Straßen um gegen Maßnahmen zu protestieren, die ihre Freiheit einschränken sollen.

Dass sich unsere Gesellschaft dabei seit jeher aber auf Grundsätze stützt, die die Freiheit des Einzelnen dort beschränken, wo jene des anderen anfangen und dass Freiheit an sich als abstrakter Begriff einen ständigen Wandel durchläuft, für so eine differenzierte Argumentation ist häufig kein Platz – keine Zeit. Wie auch, wenn wir uns jeden Tag mit Inhalt vollsaugen, dem wir maximal drei Sekunden unserer Aufmerksamkeit schenken. Eine vielzitierte Studie zeigt im Jahr 2012, dass sogar Goldfische eine größere Aufmerksamkeit haben, als wir.

Drei Sekunden Zeit für ein Ja oder Nein. Ein Sowohl als auch ist da zu komplex, zu vielschichtig und leider: Zu analog gedacht.

Schon in meiner Masterthesis stieß ich auf die unseren gesellschaftlichen Problemen zugrunde liegende Rasterung in schwarz oder weiß, ja oder nein, 0 oder 1. Damals stieß ich ein erstes Mal auf Hegel, hatte aber keine Zeit, dies zu vertiefen. Nun geht es in die nächste Runde, ein Einstieg mit dieser sehr unterhaltsamen Übersicht von Dr. Sebastian Ostritsch. Er hat mir in jedem Fall die Angst vor Hegel selbst genommen, die Phänomenologie des Geistes steht schon auf der Leseliste.